Hohe Bestände, veränderte Herkunft – was die neuen Zahlen der Zentralbank wirklich zeigen
Die Central Bank of Cyprus hat neue Daten zu den Beständen ausländischer Direktinvestitionen (Foreign Direct Investment – FDI) veröffentlicht. Die Zahlen für das Jahr 2024 sind auf den ersten Blick beeindruckend, auf den zweiten Blick jedoch noch deutlich aufschlussreicher: Der gesamte FDI-Bestand in Zypern belief sich Ende 2024 auf 365,07 Milliarden Euro. Gleichzeitig bestätigt sich ein klarer Trend – der langfristige Rückgang der FDI-Bestände seit dem Rekordjahr 2022 sowie eine deutliche Verschiebung der Herkunftsländer.
Die Veröffentlichung verfolgt dabei ausdrücklich ein Ziel: Transparenz über die tatsächliche Herkunft der nach Zypern geflossenen Direktinvestitionen zu schaffen. Und genau hier liegt die eigentliche Aussagekraft der Zahlen.
1. Die Gesamtzahl: 365 Milliarden Euro – und was sie bedeutet
Mit einem FDI-Bestand von 365,07 Milliarden Euro bleibt Zypern – gemessen an seiner Wirtschaftsgröße – einer der größten Empfänger ausländischer Direktinvestitionen in Europa. Diese Zahl spiegelt jedoch Bestände wider, nicht jährliche Zuflüsse, und umfasst insbesondere:
Holding-Strukturen
Konzernfinanzierungen
Beteiligungen
Sonderfinanzvehikel internationaler Gruppen
Zypern fungiert damit weiterhin als internationaler Finanz- und Holdingstandort. Allerdings zeigt der Vergleich mit den Vorjahren, dass der Höhepunkt überschritten ist:
2022: 489,4 Mrd. €
2023: 394,0 Mrd. €
2024: 365,1 Mrd. €
Innerhalb von zwei Jahren ging der FDI-Bestand somit um rund 124 Milliarden Euro zurück.
2. Russland: Weiterhin größter Einzelposten – aber deutlich rückläufig
Mit 83,46 Milliarden Euro stammt weiterhin der größte Einzelanteil der ausländischen Direktinvestitionen aus der Russische Föderation. Das entspricht 23 % des gesamten FDI-Bestands in Zypern.
Gleichzeitig ist Russland der Haupttreiber des Rückgangs:
2022: 135,7 Mrd. €
2024: 83,46 Mrd. €
Rückgang: rund 52 Mrd. €
Dieser Abbau erklärt nahezu die Hälfte des gesamten FDI-Rückgangs seit 2022. Die Gründe liegen auf der Hand: geopolitische Entwicklungen, Sanktionen, Restrukturierungen internationaler Holdings sowie Repatriierung oder Umlagerung von Vermögenswerten.
Trotz dieses Rückgangs bleibt Russland statistisch die größte einzelne Herkunftsnation – was regelmäßig für politische Diskussionen sorgt, wirtschaftlich jedoch primär die historische Struktur des Standorts Zypern widerspiegelt.
3. Europäische Union: 20 % der FDI – Luxemburg dominiert
Die 27 EU-Mitgliedstaaten kommen gemeinsam auf 74,36 Milliarden Euro, was 20 % des gesamten FDI-Bestands entspricht. Innerhalb der EU zeigt sich jedoch eine extreme Konzentration:
Luxemburg:
32,1 Mrd. €
9 % des Gesamt-FDI
43 % des gesamten EU-FDI in Zypern
Niederlande:
6,9 Mrd. €
2 % des Gesamt-FDI
9 % des EU-FDI
Luxemburgs dominante Rolle unterstreicht die Bedeutung von Holding- und Finanzierungsstrukturen innerhalb der EU. Der starke Zuwachs von +10 Milliarden Euro gegenüber dem Vorjahr ist zugleich der größte Anstieg aller Herkunftsländer im Jahr 2024.
4. USA und Vereinigtes Königreich: Bedeutend, aber rückläufig
Die Vereinigte Staaten liegen mit 66,57 Milliarden Euro auf Platz drei und stellen 18 % des gesamten FDI-Bestands. Trotz dieser hohen Summe verzeichneten die USA den größten absoluten Rückgang gegenüber dem Vorjahr:
–15,1 Milliarden Euro
Auch das Vereinigtes Königreich zeigt einen deutlichen Rückgang:
Bestand 2024: 17,17 Milliarden Euro
Anteil: 5 %
Rückgang gegenüber 2023: –10 Milliarden Euro
Diese Entwicklungen deuten weniger auf einen Attraktivitätsverlust Zyperns hin, sondern vielmehr auf globale Umstrukturierungen internationaler Konzerne, Bilanzbereinigungen und eine veränderte Finanzierungslogik großer Unternehmensgruppen.
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Mehr Informationen5. Weitere Herkunftsländer: Ukraine, Offshore-Zentren und Naher Osten
Neben den großen Blöcken zeigt die Statistik eine breite geografische Streuung:
Ukraine:
10,64 Mrd. € (3 %)
Cayman Islands:
8,4 Mrd. €
British Virgin Islands:
2,4 Mrd. €
Marshall Islands:
3,5 Mrd. €
Israel:
5,1 Mrd. €
Naher und Mittlerer Osten (gesamt):
7,6 Mrd. €
Diese Zahlen unterstreichen Zyperns Rolle als Drehscheibe zwischen Europa, Nahost und internationalen Finanzzentren. Gleichzeitig zeigen sie, wie wichtig eine differenzierte Betrachtung der Herkunftsländer ist – insbesondere bei klassischen Offshore-Jurisdiktionen, hinter denen häufig Investoren aus Drittstaaten stehen.
6. Strukturwandel statt Kapitalflucht
Der Rückgang des FDI-Bestands wird gelegentlich vorschnell als Zeichen wirtschaftlicher Schwäche interpretiert. Die Daten der Zentralbank zeichnen jedoch ein anderes Bild: Es handelt sich primär um einen Strukturwandel, nicht um einen Exodus.
Wesentliche Faktoren sind:
Abbau historischer Russland-Strukturen
Reorganisation internationaler Holdings
strengere Transparenz- und Substanzanforderungen
Anpassung an globale Mindestbesteuerung und Compliance-Regeln
In diesem Kontext ist der Rückgang sogar Ausdruck einer Normalisierung des FDI-Bestands – bei gleichzeitig höherer Qualität und besserer Nachvollziehbarkeit.
7. Ziel der Veröffentlichung: Transparenz über die „wahre Herkunft“
Die Zentralbank betont ausdrücklich, dass die Veröffentlichung dieser Daten dazu dient, die wahre Herkunft der ausländischen Direktinvestitionen sichtbar zu machen. Damit reagiert sie auch auf internationale Kritik, die Zypern in der Vergangenheit häufig pauschal als „Briefkastenstandort“ etikettierte.
Die differenzierte Aufschlüsselung zeigt:
Zypern ist kein monolithischer Kapitalparkplatz, sondern ein komplexer Finanzstandort mit globaler Verflechtung.
Schlussbetrachtung
Die FDI-Zahlen 2024 liefern ein realistisches, nüchternes Bild der zypriotischen Wirtschaft: hohe Bestände, aber im Wandel; internationale Bedeutung, aber mit veränderter Struktur. Der Rückgang gegenüber 2022 ist substanziell, jedoch erklärbar – und in Teilen sogar gesund.
Oder, etwas mediterraner formuliert: Weniger schiere Masse, mehr Klarheit. Für einen Finanzstandort ist das langfristig oft die bessere Bilanz.
