Der Ausbau grenzüberschreitender Energienetze gehört zu den zentralen Zukunftsaufgaben der Europäischen Union. Mit dem Great Sea Interconnector (GSI) steht ein Projekt im Fokus, das nicht nur für Griechenland, Zypern und Israel, sondern für die gesamte EU von strategischer Bedeutung ist.
Wie diplomatische Quellen gegenüber der Cyprus News Agency (CNA) betonten, handelt es sich beim GSI um ein „Projekt von gemeinsamem Interesse“. Die geplante Stromverbindung soll die Netze der drei Länder zusammenschließen und damit die Energieversorgung im östlichen Mittelmeerraum wie auch in Europa insgesamt diversifizieren und stabilisieren.
Doch das Projekt, das als eines der ambitioniertesten Infrastrukturvorhaben der Region gilt, steht auch vor beträchtlichen Schwierigkeiten, insbesondere aufgrund der geopolitisch sensiblen Rolle der Türkei.
1. Was ist der Great Sea Interconnector?
Der Great Sea Interconnector ist ein geplanter Unterwasser-Stromkorridor, der:
Griechenland,
Zypern und
Israel
miteinander verbinden soll.
Die Idee dahinter ist klar: Durch die Stromleitung können erneuerbare Energien, insbesondere aus Israel und Zypern, effizient in das europäische Netz eingespeist werden. Gleichzeitig schafft das Projekt die Möglichkeit, bei regionalen Engpässen Strom in beide Richtungen zu transportieren – eine Art Energiebrücke zwischen Nahost und Europa.
Das Projekt wurde von der EU als Project of Common Interest (PCI) eingestuft. Damit erhält es nicht nur politischen Rückhalt, sondern auch finanzielle Förderung aus Brüssel.
2. Strategische Bedeutung für Zypern und die Region
a) Energiesicherheit
Zypern ist bislang energetisch isoliert. Es verfügt über kein Gas-Pipelinesystem und keine Stromverbindung zu Nachbarländern. Der GSI wäre für die Republik der erste Anschluss an das kontinentaleuropäische Stromnetz.
b) Integration erneuerbarer Energien
Der Ausbau erneuerbarer Energien in der Region ist im vollen Gange. Solar- und Windenergie auf Zypern sowie große Photovoltaik-Projekte in Israel könnten künftig über den GSI ins europäische Netz eingespeist werden.
c) Geopolitischer Hebel
Die Verbindung stärkt die regionale Kooperation zwischen EU-Mitgliedern und Israel. Gleichzeitig setzt sie ein Signal gegenüber der Türkei, deren Einfluss im östlichen Mittelmeerraum von den Projektpartnern als problematisch eingestuft wird.
3. Die Schwierigkeiten: Rolle der Türkei
Diplomatische Quellen, die CNA zitierte, sprachen offen von „Schwierigkeiten, hauptsächlich aufgrund der Haltung der Türkei“.
a) Seerechtliche Konflikte
Die Türkei erkennt die Ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ) Zyperns nicht an und erhebt eigene Ansprüche auf Seegebiete, die für die Verlegung der Kabel relevant sein könnten.
b) Politischer Druck
In der Vergangenheit hat Ankara immer wieder versucht, Infrastrukturprojekte, die ohne seine Beteiligung entstehen, zu blockieren oder zu verzögern. Dies gilt sowohl für Energie- als auch für Transportkorridore.
c) Potenzielles Risiko für Investoren
Internationale Investoren und Bauunternehmen beobachten die Spannungen genau. Politische Unsicherheit kann zu Kostensteigerungen, Verzögerungen und rechtlichen Auseinandersetzungen führen.
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Mehr Informationen4. Die EU als vierter Faktor
Trotz der Schwierigkeiten spielt die EU eine entscheidende Rolle.
Brüssel hat den GSI nicht nur offiziell als PCI anerkannt, sondern unterstützt ihn auch finanziell.
Die Europäische Kommission betrachtet das Projekt als zentrale Komponente der europäischen Energiestrategie, die Diversifizierung und Unabhängigkeit von fossilen Importen – insbesondere aus Russland – vorantreiben soll.
Darüber hinaus stärkt der GSI die regionale Stabilität, indem er Kooperation statt Konfrontation im östlichen Mittelmeer begünstigt.
Die EU sieht sich damit selbst als eine Art „vierter Faktor“ in diesem geopolitischen und wirtschaftlichen Projekt.
5. Wirtschaftliche Perspektiven
a) Investitionsvolumen
Das Projekt wird auf mehrere Milliarden Euro geschätzt. Es schafft Arbeitsplätze während der Bauphase und stärkt langfristig die regionale Wirtschaft.
b) Strompreise
Durch die Anbindung an das europäische Netz könnten die Strompreise in Zypern perspektivisch sinken, da die Abhängigkeit von teuren, fossil betriebenen Kraftwerken reduziert wird.
c) Exportpotenzial
Israel und Zypern könnten ihre erneuerbaren Energieüberschüsse künftig nach Europa exportieren – ein Markt mit großem Potenzial.
6. Regionale und internationale Dimension
a) Griechenland
Als Mitgliedstaat der EU und Energie-Drehkreuz im Mittelmeer nimmt Griechenland eine Schlüsselrolle ein. Über Griechenland wird der Anschluss an das kontinentaleuropäische Netz sichergestellt.
b) Israel
Israel sieht im GSI die Möglichkeit, seine wachsende Energieproduktion, insbesondere aus Solarenergie, profitabel nach Europa zu vermarkten.
c) Nachbarschaftspolitik
Für die EU bietet das Projekt die Gelegenheit, ihre Nachbarschaftspolitik im östlichen Mittelmeer zu stärken und durch wirtschaftliche Kooperation geopolitische Spannungen abzumildern.
7. Risiken und offene Fragen
Trotz der politischen und finanziellen Unterstützung bleiben offene Punkte:
Finanzierung: Wird die EU den größten Teil der Kosten tragen oder bleiben erhebliche Eigenanteile bei den Partnerstaaten?
Technische Umsetzung: Unterwasserleitungen in großen Tiefen sind technisch anspruchsvoll und kostenintensiv.
Politische Stabilität: Bleibt die Türkei bei ihrem Widerstand, könnten Bauarbeiten behindert oder rechtlich angefochten werden.
Fazit
Der Great Sea Interconnector ist weit mehr als ein reines Infrastrukturprojekt. Er ist ein Symbol für Energiesicherheit, europäische Integration und geopolitische Stärke.
Für Zypern bedeutet er die Überwindung jahrzehntelanger Energieisolation und die Chance, seine erneuerbaren Potenziale auszuschöpfen. Für die EU ist er ein Baustein in der Strategie zur Diversifizierung von Energiequellen und zur Stärkung regionaler Stabilität.
Doch die Hindernisse sind nicht zu unterschätzen. Die Haltung der Türkei bleibt ein Unsicherheitsfaktor, und auch technische sowie finanzielle Fragen sind noch nicht abschließend geklärt.
Dennoch: Mit der klaren Unterstützung der EU und der engen Zusammenarbeit zwischen Griechenland, Zypern und Israel könnte der Great Sea Interconnector zu einem Meilenstein der europäischen Energiepolitik im 21. Jahrhundert werden.
Quelle: Cyprus News Agency (CNA)